am 12.09.2015 in Cloppenburg
Die Vortragsreihe wurde von Dr. Bernhard Braun vom Zentrum für Sozialpolitik der Uni Bremen eröffnet. Sein Thema war das Fallpauschalsystem als Abrechnungsverfahren für Krankenhäuser und seine Folgen. Im DRG (Diagnosis Related Groups), einem diagnosebezogenen Fallgruppen-Klassifizierungssystem für ein pauschalisiertes Abrechnungsverfahren, werden Patienten anhand medizinischer Daten Fallgruppen zugeordnet. Dieses geschieht aufgrund von Haupt- und Nebendiagnosen, Prozeduren, Kodes und demografischer Variablen. Der Vorteil: Es ergibt sich eine gute Entlohnung für die zu erbringenden Leistungen und bietet Anreize zu effizienter Behandlung. Dieses System hat aber auch Schwächen: Es könnten möglicherweise schwere Fälle abgewiesen oder durch falsche Diagnosen höhere Fallpauschalen abgerechnet werden. Die Einführung des Fallpauschalsystems hat nach Ansicht von Dr. Braun zu einer Verschlechterung der Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegekräften und wegen Zeitmangels zu einer Abnahme der Pflegequalität geführt. Ein großes Thema ist in diesem Zusammenhang auch der Pflegekräftemangel, denn die Patientenzahl ist in den letzten zwanzig Jahren auf das Sechsfache gestiegen, so dass sich ein Mehrbedarf von 100 000 Pflegekräften ergeben hat. Somit ergibt sich vor allem in Akutkrankenhäusern für die Pflegekräfte ein Zeitmangel für notwendige Tätigkeiten wie z.B. Umlagern, Schmerzmanagement, Pflegeplanung, Mobilisierung, Patientenberatung, Beobachtung verwirrter Patienten oder Zuwendung.
Im Vergleich mit den Nachbarländern hat Deutschland 60% mehr Krankenhausbetten, 40% mehr Krankenhausfälle, die von 33% weniger Pflegepersonal betreut werden und ca. 20% weniger kosten.Im Vergleich führt das zu 15%höheren Krankenhauskosten.
Nach Ansicht von Dr. Braun lassen sich die negativen Folgen des DRG-Preissystems wie Anreize zur Fallvermehrung, Vermehrung aufwendiger und gut bezahlter Fälle, Vernachlässigung komplizierter Fälle und die Reduktion von Behandlungszeiten nur beheben, wenn
- die Investitionssituation für Krankenhäuser und die Absicherung der Vorhaltekosten durch die Bundesländer verbessert wird
- es eine gesetzliche bedarfsorientierte Personalbemessung insbesondere von Pflegekräften gibt
- ein Abbau von nicht bedarfsorientierten Klinik- und Bettenkapazitäten erfolgt
- von einer besseren Kooperation und Koordinierung von ambulanter und stationärer Behandlung ausgegangen werden kann
Der nächste Referent Dr. Christian Weymayr informierte die Landfrauen über Igel (individuelle Gesundheitsleistungen). Die Frage, welche der Angebote Frauen nutzen sollen, beantwortet der Referent mit „keine“ und welche der Angebote Frauen nutzen können, mit „alle“. Dr. Weymayr ist Projektleiter des Igel-Monitors, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Nutzen und Schaden von Igel zu bewerten. Der Herausgeber des Igel-Monitors ist der MDS (medizinischer Dienst des Spitzenverbandes des Bundes der Krankenkassen).
Bei Igel handelt es sich um Leistungen, die
- generell oder im Einzelfall nicht der Leistungspflicht der GKV unterliegen
- aus ärztlicher Sicht erforderlich oder empfehlenswert, zumindest aber vertretbar sind
- von Patient(inn)en ausdrücklich gewünscht werden
Igel-Angebote bekommen über 10% mehr Frauen als Männer, wobei Patient(inn)en mit höherem Einkommen häufiger Igel-Angebote gemacht werden. Dabei liegen die Gynäkologen vorne, gefolgt von Zahn- und Augenärzten. Die Urologen, Allgemeinmediziner, Hautärzte und Orthopäden halten sich dabei sehr zurück. Bisher sind in dem Projekt 39 Igel besprochen und davon 35 bewertet worden.
Da sich das Tagungspublikum fast ausschließlich aus Frauen zusammensetzte, bezog sich der Referent zuerst auf Igel-Beispiele beim Frauenarzt:
Weder Nutzen noch Schaden wurde bei der Dünnschichtzytologie und der Ultraschalluntersuchung der Brust ermittelt. Eine negative Beurteilung erhielten NMP-22 Harnblasenkrebs, der Toxoplasmosetest und der Ultraschall der Eierstöcke. Bei anderen Ärzten erhielten die Zahnreinigung und die Bach-Blüten-Therapie eine weder Nutzen noch Schaden Beurteilung. Die Glaukomvorsorge erhielt ein negatives Urteil, während die Lichttherapie „Winterblues“ und die Stoßwellentherapie Ferse eine positive Beurteilung erhielten. Letztere wird vielleicht demnächst als Kassenleistung aufgenommen. Zum Schluss wies Dr. Weymayr noch auf die Informationsschrift „Igel-Angebote beim Arzt“ hin, herausgegeben von der Verbraucherzentrale.
Als nächste referierte Frau Dr. Susanne Weg-Remmers vom dfkz (Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg) über Krebsvorsorge:
In Deutschland erkranken jährlich 500 000 Menschen an Krebs. Jeder zweite Mann erkrankt und jeder vierte stirbt daran. Jede zweite bis dritte Frau erkrankt an Krebs und jede fünfte stirbt daran. Eine Krebserkrankung ist aber nicht zwangsläufig ein Todesurteil, denn es gibt Fortschritte:
- bei der Krebsvorbeugung
- es gibt verbesserte Methoden zur Diagnostik und Therapie
- bei der Krebsfrüherkennung
An Früherkennungsuntersuchungen werden besondere Anforderungen gestellt:
- Es muss sich um eine Krankheit handeln, die für die Gesundheit der Bevölkerung von Bedeutung ist
- Die Erkrankung muss bei Früherkennung deutlich besser behandelbar sein
- Das Testverfahren muss eine hohe Empfindlichkeit und Genauigkeit aufweisen
- Das Testverfahren muss zeit- und kostengünstig und wenig belastend sein
- Der Nutzen muss die Risiken überwiegen
Der Nutzen der Krebsfrüherkennung lässt sich ablesen an dem Sinken
- der Neuerkrankungen durch erfolgreiche Behandlung von Vorstufen / Frühstadien
- Krankheitshäufigkeit durch schonendere Behandlung von Frühstadien
- der Sterblichkeit als „härtesten“ Beweis des Nutzens
Es gibt lt. Dr. Weg-Remmers aber auch Risiken:
- „falsch-positive“ Befunde, die zu Beunruhigungen führen und unnötige Untersuchungen erforderlich machen
- „Überdiagnose“ und „Übertherapie“
- „falsch-negative“ Befunde, die die Patient(inn)en in falscher Sicherheit wiegen
- auch bei „richtig-positivem“ Befund ist eine Heilung nicht sicher
- Intervallkarzinome
Eine Krebsdiagnose aufgrund von Früherkennung verschafft nur dann einen Gewinn an Lebenszeit, wenn eine frühe Behandlung auch erfolgreich ist. Im Bereich der Früherkennung sieht die Referentin einen Mangel im System in Bezug auf die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Methoden. Außerdem vermisst die Referentin verständliche Informationen zur Krebsfrüherkennung, um sich für oder gegen eine Inanspruchnahme entscheiden zu können.
Abschließend gab Frau Dr. Weg-Remmers den Landfrauen folgenden Rat mit auf den Weg: „Informieren Sie sich über Nutzen und Risiken und wägen Sie ab, bevor Sie sich entscheiden!“